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RP Reha 4/2016
Schwerpunkt
BUNDESTEILHABEGESETZ – Fortschritt oder Rückschritt?
E D I T O R I A L
Dieses Heft der RP Reha liegt Ihnen mitten im Gesetzgebungsverfahren zum Bundesteilhabegesetz vor. Nach jahrelangen Vorarbeiten und Diskussionen, die auch in dieser Zeitschrift dokumentiert worden sind, hat die Bundesregierung Ende Juni einen Entwurf zur Reform des SGB IX und insbesondere des Teilhaberechts der Sozialhilfe (Eingliederungshilfe) vorgelegt (BT-Drucksache 18/9522). Der Gesetzentwurf ist nach der ersten Beratung durch Bundestag und Bundesrat nun in den Ausschüssen. Die Stellungnahme des Bundesrats (BR-Drucksache 428/16 (b)), die Sachverständigenanhörung am 7. November (AuS-Ausschuss-Drucksache 18(11)801) und die öffentliche Diskussion haben ein kritisches Echo gezeigt. Dennoch wird überwiegend damit gerechnet, dass das Gesetz – in einer veränderten Form – im Dezember Bundestag und Bundesrat passieren und dann gestaffelt in den kommenden Jahren in Kraft treten wird. Schon der lange Zeitraum, der zwischen Beschluss und Inkrafttreten der meisten Regelungen zu Beginn des Jahres 2020 liegen soll, zeigt, dass wichtige Änderungen im Verfahrens- und Leistungsrecht geplant sind, auf die sich Verwaltung, Leistungserbringer und Leistungsberechtigte neu einzustellen haben werden – wenn das Gesetz denn kommt.
Eine Rechtsvereinfachung oder ein systematisch klareres Gesetz, so viel kann schon gesagt werden, bringt das BTHG auf keinen Fall. Die Verschiebung der Eingliederungshilfe in einen neuen Teil 2 des SGB IX, ein neu, aber kaum klarer definiertes Verhältnis zwischen allgemeinen und besonderen Regelungen und neue Doppel- und Sonderregelungen werden Rechtsanwendung und Rechtswissenschaft wohl neue Rätsel zu lösen geben. Hoffnungen, die Erkenntnisse der Rechts- und Sozialwissenschaften über die Anwendungsdefizite des SGB IX und ihre Ursachen würden in der Gesetzgebung umfassend berücksichtigt werden, sind jedenfalls enttäuscht worden. Eine vorgesehene Evaluation des SGB IX war vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nach einer Vorstudie (BMASForschungsbericht 441) nicht weiterverfolgt worden, als der Eindruck entstand, dies könnte das Zustandekommen der Reform in der 18. Wahlperiode gefährden.
Dass die Politik erst handeln und dann forschen lassen will, ist legitim, wenn sich auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stets wünschen, es möge in anderer Reihenfolge geschehen. So wird es wahrscheinlich kommen: Artikel 25 des BTHG-Entwurfs sieht vor, dass zentrale Regelungen in der Zeit zwischen Beschluss und Inkrafttreten evaluiert werden. Stimmen aus der Politik stellen sich eine Art Trockenübung vor: Das neue Gesetz wird virtuell neben dem alten Recht angewandt und die Ergebnisse ermöglichen es, Erkenntnisse für die Implementation zu gewinnen und, falls nötig, das Gesetz noch vor Inkrafttreten zu ändern. Wir werden beobachten, ob und wie ein solches Forschungsdesign funktionieren kann. Wichtig ist in jedem Fall, dass Fragen und Methoden unabhängig und unter Mitwirkung behinderter Menschen und ihrer Organisationen entwickelt werden.
Im Übrigen ist der Entstehungsprozess des BTHG lehrreich für lebensnahe Politikwissenschaft und Staatsrechtslehre, zeigt er doch, wie viele Interessen und Institutionen im Bundesstaat und im gegliederten Sozialleistungssystem zu berücksichtigen sind und sich zu Wort melden. Das ist nichts Schlimmes. Übel wäre es vielmehr, wenn das Recht der Rehabilitation und Teilhabe niemanden interessierte.
Problematisch ist allerdings, dass das Korrektiv der breit geführten öffentlichen Debatte, die Politiker und Experten zwingt, die Reform auf wesentliche nachvollziehbare Grundzüge zurückzuführen, nur schwach verfügbar ist, weil viele Medien und Großorganisationen Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen zu Unrecht für ein Minderheiten- und Nischenthema halten.
Wir hoffen, mit diesem Heft einen kleinen Beitrag zumindest zum Fachdiskurs geleistet zu haben. Was immer mit dem Entwurf des Bundesteilhabegesetzes geschieht: Wir bleiben dran!
Felix Welti
Katja Nebe
Wolfhard Kohte
Gudrun Wansing
I N H A L T
Sozialpolitik und Rehabilitation
Martin Theben
DAS BUNDESTEILHABEGESETZ – ODER: DER GROSSE BLUFF
Irene Vorholz
BUNDESTEILHABEGESETZ: DIE SICHT DER KOMMUNALEN LEISTUNGSTRÄGER
Edna Rasch
BUNDESTEILHABEGESETZ UND PFLEGESTÄRKUNGSGESETZ
Zum Verhältnis von Leistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflege
Rechtsprechung
Roland Rosenow
ÄNDERUNGEN IM LEISTUNGSVEREINBARUNGSRECHT DER EINGLIEDERUNGSHILFE DURCH DAS BUNDESTEILHABEGESETZ
RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT
Praxis der Rehabilitation
Cindy Schimank
GESETZ DES GUTEN WILLENS?
Alfons Adam von der Daimler AG über das neue Schwerbehindertenrecht
Forschung und Praxis
Michael Schubert/Marcus Schian
TEILHABEPLANUNG UND GESAMTPLANUNG IM BTHG: GRUNDZÜGE UND OFFENE FRAGEN
Andreas Weber
11 FRAGEN AN: Robert Richard
Maren Giese/Eva Nachtschatt/Mario Schreiner/Jasmin Zücker/Angelice Falk/Cindy Schimank/Thomas Ketzmerick/Matthias Liebsch
BERICHT ZUR FACHTAGUNG „PARTIZIPATION UND BERATUNG IM TEILHABERECHT“ 09.09.2016
Hansgeorg Ließem
REHABILITATIVE WIRKUNG SOZIALER PROZESSE
Gruppenprogramm zur sozialen Rehabilitation
Internationales
INTERNATIONALE NEWS UND VERANSTALTUNGEN
Infothek
AKTUELLES AUS DER PRAXIS DER REHABILITATION
AUS DEM DISKUSSIONSFORUM „REHABILITATIONS- UND TEILHABERECHT“
VERANSTALTUNGEN
NEUERSCHEINUNGEN UND LITERATUREMPFEHLUNGEN
RP Reha | Ausgabe 4/2016
68 Seiten
ISSN 2366-7877
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