Fachzeitschrift RP-Reha | Ausgabe 2/2022 – Schwerpunkt: Teilhabe und Selbstbestimmung besonders vulnerabler Menschen
Fachzeitschrift RP-Reha | Ausgabe 2/2022 – Schwerpunkt: Teilhabe und Selbstbestimmung besonders vulnerabler Menschen

RP Reha 2/2022

Schwerpunkt

Teilhabe und Selbstbestimmung besonders vulnerabler Menschen

E D I T O R I A L

Liebe Leserinnen und Leser,

bei Planung des Heftes schien die Corona-Pandemie noch die größte Sorge in der gesell­schaft­lichen Gegen­wart zu sein. Der Angriff auf die Ukraine Ende Februar hat uns die Verletz­lich­keit der Mensch­heit in drama­tischer Weise verdeut­licht. Der Krieg in Europa löscht für die unmittel­bar betrof­fenen Menschen Leben und damit Teil­habe ganz ulti­mativ aus. Der Krieg betrifft auch die Reha­bili­tation in Deutschland. Geflüch­tete Menschen sind per se beson­ders in ihrer Gesund­heit und Teilhabe gefährdet und unter den Geflüch­teten sind Menschen mit Behin­de­rungen. Politik und Zivil­gesell­schaft haben konkrete Hilfs­an­ge­boten organisiert, um insbe­son­dere auch Pflege­bedürf­tige und Menschen mit Behin­de­run­gen in dieser huma­ni­tären Notlage zu erreichen.

Wir möchten ebenfalls ein Zeichen gegen Aggression und Terror setzen und haben eine aktuelle Entscheidung des Bundes­sozial­gerichts recher­chiert. Am 4.11.2021 hat der 6. BSG-Senat (Az.: BSG B 6 KA 16/20 R), noch anlässlich der Flucht­situ­ation des Jahres 2015, eine Entschei­dung der 87. Kammer des Sozial­gerichts Berlin bestätigt. In den Entschei­dungs­gründen sind die Folgen von Flucht bzw. Flucht­trauma­tisie­rungen klar beschrieben. Die Entschei­dung ist im Wortlaut (leicht gekürzt) abgedruckt, denn sie steht mit ihrer faktischen und rechts­syste­ma­tischen Analyse für sich. Sie ist Beleg dafür, dass das Sozial­recht und insoweit die 2015 im Zuge der starken Zunahme von trauma­tisierten geflüch­teten Personen neu geschaffene Regelung des § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV, sowie die Selbst­ver­wal­tung in deren Anwen­dung (hier nament­lich der Zulas­sungs­aus­schuss) sozial- und rechts­staat­liche Antworten geben und den beson­deren Belangen von Menschen die Folter, Vertreibung oder sonstige schwere Formen von Gewalt erlitten haben, gerecht werden.

Ob die Versorgungsangebote die Menschen auch erreichen, ist ein Thema für die empirische Forschung. Passend zum aktuellen Anlass konnten wir eine Unter­suchung der Universität Lübeck abdrucken. Anna-Lena Baasner, Hannes Banaschak und Matthias Bethge zeigen förder­liche und hemmende Faktoren für die Bean­tragung medi­zi­nischer Reha­bili­tations­leis­tungen für Kinder und Jugend­liche durch deren Eltern mit Migra­tions­bio­grafie auf. Vulnerable Gruppen sind auf besondere Beratungs­ange­bote ange­wiesen. Studie­rende mit Behin­de­rungen und chronischen Erkran­kungen sind eine solche besonders vulnerable Gruppe, die über den üblichen Beratungs- und Unter­stüt­zungs­bedarf hinaus ein beson­deres Angebot benötigen. Im Interview erläutert Michaela Kusal am Beispiel des Beratungs­zen­trums zur Inklusion Behinderter (BZI) an der Ruhr-Universität Bochum, wie wichtig eine pass­genaue Beratung Studie­render mit Behin­de­rung ist und welche Rolle die über­regionale Infor­mations- und Beratungs­stelle Studium und Behin­de­rung beim Deutschen Studen­ten­werk (IBS) dabei spielt. Das Heft bietet, im Anschluss an die Februar­ausgabe, einen weiteren Beitrag zur Inklusion im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Arne von Boetticher beleuchtet die rechts­kreis­über­greifende Zusam­men­arbeit in der Kinder- und Jugend­hilfe nach dem Kinder- und Jugend­stär­kungs­gesetz (KJSG). Die Euro­päische Union ist fort­während Impuls­geber für das Anti­dis­krimi­nie­rungs­recht und damit für die Rechte von Menschen mit Behin­de­rungen. Clarissa von Drygalski widmet sich in ihrem Aufsatz der Strategie der Euro­päischen Kommission (2021–2030) für die Rechte von Menschen mit Behin­de­rungen und unter­sucht die bereits beste­henden recht­lichen Rege­lungen vor dem Hinter­grund des nun vorge­legten Stra­tegie­papiers und legt das Augen­merk dabei vor allem auf den Bereich der Teilhabe am Arbeits­leben.

Das Recht der Teilhabe von Menschen mit Behin­de­rung stellt mit seiner rechts­träger­über­grei­fenden Struktur beson­dere Anfor­derungen schon an die Aus­bildung, um Konver­genz in der Leistungs­gewäh­rung zu erreichen. Die Bundes­arbeits­gemein­schaft für Reha­bili­tation e.V. (BAR), das Forum Sozial­ver­siche­rungs­wissen­schaft e.V. (FSVW) und die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) haben den Arbeits­kreis Hoch­schulen ins Leben gerufen. Ein Gespräch zwischen Helga Seel und Laurenz Mülheims gibt Auf­schluss über die Arbeit und die Ziele des Arbeits­kreises.

Katja Nebe

 

I N H A L T

Sozialpolitik und Rehabilitation

Rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe

Die Teilhabe am Arbeitsleben in der EU-Strategie

Rechtsprechung

Urteil des BSG: Vertragspsycho­therapeutische Versorgung von traumati­sierten, nach Deutschland geflüchteten Menschen

Rechtsprechungsübersicht

Praxis der Rehabilitation

Vom „Arbeitskreis Hochschulen – Teilhabe und Inklusion“ (Gespräch)

Beratungsangebote für Studierende mit Behinde­rungen und chronischen Erkran­kungen (Interview)

Aus Forschung und Praxis

Beantragung einer medizinischen Rehabilitation: Förderliche Faktoren und Barrieren für Eltern mit Migrations­biografie


Infothek

Aktuelles aus der Praxis der Rehabilitation

Aus dem Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht

Veranstaltungen

Neuerscheinungen und Literatur­empfehlungen


 

RP Reha | Ausgabe 2/2022
64 Seiten
ISSN 2366-7877
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