Fachzeitschrift RP-Reha | Ausgabe 1/2024 – Schwerpunkt: Personenzentrierung in der Transformation
Fachzeitschrift RP-Reha | Ausgabe 1/2024 – Schwerpunkt: Personenzentrierung in der Transformation

RP Reha 1/2024

Schwerpunkt

Personenzentrierung in der Transformation

E D I T O R I A L

Liebe Leserinnen und Leser,

das Recht auf gleichberechtige Teilhabe am Arbeits­leben ist noch nicht ein­gelöst. Die mit dem Bundes­teil­habe­gesetz ange­stoßene weit­reichende Reform hin zur Personen­zentrie­rung braucht noch mehr Dynamik und Bewusst­seins­wandel. Zugleich trifft diese Reform auf die ebenso tief­grei­fende Trans­for­mation der Arbeit­swelt. Und nur wenn beide Bereiche – Sozial­recht und Arbeits­recht – im Sinne der personen­zen­trierten Erfüllung von Teilhabe­bedarfen inein­ander greifen, wird Inklusion gelingen. Die soziale Markt­wirt­schaft wird durch die komple­mentäre Wechsel­wirkung von Arbeits- und Sozial­recht gestaltet. Diese Komple­men­tarität ist ein wesent­liches Scharnier nicht nur bei wirt­schaft­lichen Krisen, sondern auch bei indivi­duellen Exklu­sions­risiken (z.B. durch Teilhabe­leis­tungen). Ob die Arbeit­swelt auch für bislang über­wiegend ausge­schlos­sene Menschen auf­nahme­bereit ist, hängt von einem weit­reichenden Bewusst­seins­wandel und von der intra­dis­zipli­nären Offen­heit zwischen Arbeits- und Sozial­recht ab. Arbeits­recht muss offen sein für das per­sonen­zen­trierte Teilhabe­recht.

Zwei aktuelle sozialpolitische Dokumente geben wichtige Denk­anstöße für ein differen­ziertes Ver­ständnis für höchst unter­schied­liche Lebens­wirklich­keiten von Menschen mit Behinde­rungen, vor allem hin­sichtlich der Vielfalt an Behinde­rungen. Auszugs­weise abge­druckt ist der Abschnitt „Arbeit“ aus den „Teil­habe­empfeh­lungen für eine inklu­sivere Gesell­schaft“ des Bundes­behin­derten­beauf­tragten. Darin werden Vorschläge für mehr berufliche Teil­habe von Menschen mit intel­lektu­ellen Beein­träch­tigungen formuliert. Inklusion durch Arbeit im Kultur- und Kunst­sektor wird beson­ders beleuchtet. Das „Position­spapier zur Personen­zen­trierung und zum Abbau von exklu­die­renden recht­lichen Rahmen­bedin­gungen“ des Bundes­ver­bandes für körper- und mehr­fachbe­hinderte Menschen e.V. thema­tisiert den Lebens­bereich Wohnen aus Sicht der Menschen, die mit kom­plexen Beein­träch­tigungen hohen Pflege­bedarf haben. Fehl­steue­rungen in Sonder­welten lassen sich nur bei ganz­heit­licher Betrachtung vermeiden. Das Positions­papier macht deutlich, wie die Rege­lung des § 43a SGB XI die notwen­digen Leis­tungen bei einem Leben in beson­deren Wohn­formen verkürzt. Ein Beitrag von Dieter Schartmann rundet die kritische Betrachtung des geltenden Teilhabe­rechts ab. Kritisiert wird die Eng­führung des § 111 SGB IX auf „Leis­tungen zur Beschäf­tigung“ und die damit begrenzten Gestaltungs­mög­lich­keiten für die Ein­gliede­rungs­hilfe­träger, Menschen mit wesen­tlichen Behinde­rungen mit personen­zen­trierten Leis­tungen bei der Arbeit­sauf­nahme am allge­meinen Arbeits­markt zu unter­stützen.

Mit den weiteren Beiträgen lassen sich positive Entwick­lungen nach­voll­ziehen. Gehör­lose Menschen kom­muni­zieren mittels Gebärden­sprache. Egal ob hörend oder gehörlos – im beruf­lichen Kontext kommt es auf Fachs­prache und damit für gehör­lose Menschen auf Fach­ge­bärden an. Digital lassen sich beruf­liche Fach­gebärden­lexika erstellen und digitale Lehr­mate­rialien ent­wickeln. Britta Illmer, Peter Craxton, Christiane Harms, Kinga Ostrowski, Markus Halle, Manuela Malt und Hans-Günther Ritz berichten über ein vom BMAS aus dem Aus­gleichs­fonds finan­ziertes Projekt. Eine ein­heit­liche EU Disability Card soll Menschen mit Mobili­täts­ein­schrän­kungen die Frei­zügig­keit inner­halb der EU erleich­tern. Annette Tabbara skizziert den Stand eines entspre­chenden Richt­linien­vor­schlages der EU-Kom­mission.

Für Menschen mit Assistenz­bedarf kann sich die Versor­gung im Kranken­haus infolge der Neur­egelungen im Kranken­ver­siche­rungs­recht, vgl. § 44b SGB V, verbes­sern. Cathleen Rabe-Rosendahl und Dörte Busch erläutern die Neu­rege­lung zur Kranken­haus­assis­tenz aus arbeits- und sozial­recht­licher Sicht. Abge­druckt ist ein sehr lesens­wertes Urteil des Arbeits­gerichts (ArbG) Köln. Die 18. Kammer des ArbG Köln hat, unter Berufung auf ein Urteil des Europä­ischen Gerichts­hofs, ent­schieden, dass Arbeit­geber Pflichten zum Erhalt eines Arbeits­verhält­nisses mit einem schwer­behin­derten Menschen (vgl. § 167 Abs. 1 SGB IX) auch schon in der Probe­zeit treffen. Damit weicht das Gericht von der bis­herigen höchst­richter­lichen Recht­sprech­ung ab. In einer kurzen Anmer­kung wird verdeut­licht, wie wichtig die Schutz­pflichten vor allem auch in der Anfangs­phase eines neu begrün­deten Beschäf­tigungs­ver­hält­nisses mit beson­deren Anpas­sungs­leis­tungen auf beiden Seiten sind.

Katja Nebe

 

I N H A L T

Sozialpolitik und Rehabilitation

Teilhabeempfehlungen für eine inklusivere Gesellschaft – auch für Menschen mit intellek­tuellen Beein­träch­tigungen

Pflege in besonderen Wohnformen

Rechtsprechung

Pflicht zur Prävention gem. § 167 Abs. 1 SGB IX auch schon während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG

Anmerkung zu Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.12.2023 – 18 CA 3954/23

Rechtsprechungsübersicht

Praxis der Rehabilitation

Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für wesentlich behinderte Menschen im Rahmen der Ein­glie­der­ungs­hilfe nach dem SGB IX – ein Einwurf aus der Praxis

Aus Forschung und Praxis

Die Begleitung von Menschen mit Behinderungen im Kranken­haus durch vertraute Bezugs­personen gemäß § 44b SGB V

Digitale Unterstützung der beruflichen Kommuni­kation gehörloser Menschen

Internationales

Eu disability card – mehr Mobilität für Menschen mit Behin­de­rungen in Europa


Infothek

Aktuelles aus der Praxis der Rehabilitation

Aus dem Diskussionsforum Rehabilitations- und Teil­habe­recht

Veranstaltungen

Neuerscheinungen und Literaturempfehlungen


 

RP Reha | Ausgabe 1/2024
60 Seiten
ISSN 2366-7877
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