RP Reha 2/2025

Schwerpunkt

Mit Vielfalt zum inklusiven Arbeitsmarkt

E D I T O R I A L

Liebe Leserinnen und Leser,

kaum ein Rechtsgebiet wird durch seine Historie so geprägt wie das Reha­bili­tations- und Teil­habe­recht. Über Jahr­hun­derte ist das Behin­derten­recht sehr zer­splittert gewachsen. Der sozia­lpoli­tische Auf­bruch in den 70er Jahren bewirkte in der dama­ligen Bundes­republik wichtige Koordi­nie­rungen, aller­dings nicht zugun­sten aller Menschen mit Behin­de­rungen. Die Fort­schritte durch das aus dem Jahr 1974 stam­mende Gesetz über die Anglei­chung der Leistun­gen zur Reha­bili­tation (das soge­nannte Reha-AnglG) erreichte nicht alle gleicher­maßen. Für die Gruppe der von Geburt an behin­derten und auf die Einglie­derungs­hilfe­leis­tungen des dama­ligen Bundes­sozial­hilfe­gesetzes ange­wie­senen Menschen blieb es bei der Zer­splitte­rung, denn sie wurden nicht in den Anwen­dungs­bereich des Reha-AnglG einbe­zogen. Diese Folgen sind weit­reichend. Sie sollten spätestens mit dem 2016 verab­schie­deten Bundes­teil­habe­gesetz (BTHG) über­wunden werden. Das Ziel, die Einglie­derungs­hilfe aus der bedürftig­keits­abhän­gigen Sozial­hilfe heraus­zulösen, war eines der zentralen Anliegen. Die Umge­staltung der Struk­turen von der insti­tutions- zur person­zen­trierten Versor­gung hat in einer Weise Aufmerk­samkeit und Kräfte gebündelt, dass die Vielfalt der von der BTHG-Reform betrof­fenen Menschen nicht aus­reichend im Blick behalten worden ist. In seinen Teil­habe­empfeh­lungen an die Politik unter­streicht der Bundes­beauf­tragte für die Belange von Menschen mit Behin­de­rungen, dass deutlicher binnen­diffe­renziert werden muss. Negierte Differen­zierung je nach Beein­träch­tigung sind zudem verfas­sungs­widrig, so aktuell das Bundes­verfas­sungs­gericht in seinem Urteil vom 22. November 2023 in Leitsatz Nr. 2: „Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG findet auch Anwen­dung auf Benach­teili­gungen von Menschen mit einer bestimmten Behin­derung gegen­über Menschen mit einer anderen Behin­derung.“ Und neben der Vielfalt der Beein­träch­tigungs­formen beein­flussen andere Vielfalts­dimen­sionen die gleich­berech­tigte und selbst­bestimmte Teilhabe. Angesichts der dyna­mischen gesell­schaft­lichen Entwick­lungen ist zu erwarten, dass sich die über Jahrzehnte verfestigten Binnen­dis­krimi­nie­rungen innerhalb der Menschen mit Behinde­rungen im Zuge inters­ektio­neller Benach­teili­gungen noch verschärfen. Es ist daher dringend an der Zeit, die wechsel­seitige Beein­flussung von Vielfalts­dimen­sionen und (Schwer-) Behin­derung gene­reller zu beleuchten. Gemeinsam mit vier wissen­schaft­lichen Koope­rations­part­nern betreibt die Deutsche Verei­nigung für Reha­bilitation (DVfR) das Forschungs­projekt „Mit Vielfalt zum inklusiven Arbeits­markt – Aufgaben für das Reha- und Teilhabe­recht (VinkA)“, finan­ziert aus der Ausgleichs­abgabe. Das vorlie­gende Heft setzt den Schwer­punkt auf Vielfalts­dimensi­onen im Kontext von Behin­derung, Partizi­pation und Teilhabe, vor allem in der Arbeit­swelt. Beiträge in diesem und dem nächsten Heft skizzieren das „VinkA“-Projekt genauer. Dazu finden sich ein grund­legender Einfüh­rungsteil, der leicht ange­passte Projekt­antrag von 2023, und Teilbei­träge von drei Standorten.

Karina Weinert, Hanna Zieschang und Tobias Belz veran­schau­lichen in ihrem Artikel „Wir sind viele – wir sind vielfältig“, dass auch die Unfall­ver­siche­rung die Vielfalt in der Arbeits­welt zu ihren Gestal­tungs­auf­gaben zählt. In einer aufschluss­reichen Doppel­besprechung zweier sozial­gericht­lichen Entschei­dungen erläutert Sören Hohner „De[n] lange[n] Weg zur Aner­kennung: Studien­förde­rung als Leistung zur Teil­habe am Arbeits­leben nach § 117 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III“.

Rechtsprechungsübersicht und Infothek runden das Heft wie immer ab.

Katja Nebe und
Matthias Schmidt-Ohlemann

 

I N H A L T

Sozialpolitik und Rehabilitation

Mit Vielfalt zum inklusiven Arbeitsmarkt – Aufgaben für das Reha- und Teil­habe­recht (VinkA). Ein koope­ratives Forschungs- und Umset­zungs­projekt der DVfR

Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit (Schwer-)Behin­derung und Ein­wande­rungs­geschichte
Teilprojekt der Humboldt-Universität zu Berlin im Rahmen des Projektes VinkA

Erschwerte berufliche Teilhabe bei besonderer Vulne­rabilität – Lücken im Teil­habe­recht bzw. seiner Durch­setzung?
Teilprojekt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen des Projektes VinkA

Rechtsprechung

Der lange Weg zur Anerkennung: Studienförderung als Leistung zur Teil­habe am Arbeits­leben nach § 117 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III
Anmerkungen zu den Urteilen des SG Mannheim vom 24.05.2022 – S 6 AL 49/22 und LSG Baden-Württemberg vom 19.03.2024 – L 13 AL 1836/22

Rechtsprechungsübersicht

Praxis der Rehabilitation

Mit der Vielfalt des Jobcoachings zum inklusiveren Arbeitsmarkt

Aus Forschung und Praxis

Wir sind viele – wir sind vielfältig


Infothek

Aktuelles aus der Praxis der Rehabilitation

Aus dem Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht

Veranstaltungen

Neuerscheinungen und Literaturempfehlungen


V O R S C H A U

RP Reha 3/2025
Schwerpunkt: Mit Vielfalt zum inklusiven Arbeitsmarkt (Teil 2)
erscheint im August 2025


 

RP Reha | Ausgabe 2/2025
60 Seiten
ISSN 2366-7877
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